Dienstag, 7. Juli 2009

"Zehn Argumente zur Beibehaltung des Kapitalismus - und eines dagegen"

Angesichts des neuen und mittlerweile dritten Lehrschreibens des Papstes - der Sozialenzyklika 'Caritas in veritate' ('Liebe in Wahrheit') und in welcher er gemäss 'NZZ' den ungezügelten Kapitalismus und unregulierte Marktkräfte mittels einer "echten politischen Weltautorität" (Zitat des Papstes) in die Schranken weisen möchte - tut eine "Verteidigung eines Ungeliebten" not. Die Rede ist vom Kapitalismus, den seine Gegner - seien es linke oder rechte Antikapitalisten, Nazis, Globalisierungsgegner, lateinamerikanische Caudillos, Islamfaschisten, Steinzeitkommunisten oder andere - leidenschaftlich kritisieren und verdammen und der sich gleichwohl stets aus sich selbst heraus zu erneuern vermag, selbst in Zeiten, in denen er eine gigantische Krise wie die aktuelle produziert.

Von den entfesselten Kräften des Kapitalismus, die Schumpeter einst als "schöpferische Zerstörung" umschrieb, und der ihnen angemessene Vergesellschaftungsform - der bürgerlichen Gesellschaft - wusste bereits Karl Marx, kritisch-distanziert und fasziniert zugleich, zu berichten. So schrieb er etwa im 'Manifest der Kommunistischen Partei':
Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen die erste Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen. Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.

Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.

Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden.

An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen Produktion. Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut. Die nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr unmöglich, und aus den vielen nationalen und lokalen Literaturen bildet sich eine Weltliteratur.

Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterte Kommunikation alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d.h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde.
Marx' Lob der bürgerlichen Gesellschaft, des Kapitalismus und der Globalisierung gegen ihre Feinde mutet im Lichte von Einlassungen heutiger Linker noch immer unglaublich modern und kosmopolitisch an. Das Lob vermag dennoch nicht darüber hinwegzutäuschen, dass Marx letztlich über den Kapitalismus hinaus wollte - für eine negative Aufhebung des Kapitals, wie von manchen heutigen Linken und Rechten tatsächlich noch immer gefordert wird, war er vermutlich nicht zu haben.

Es scheint uns also angezeigt zu sein, auf einen lesenswerten Text mit dem Titel 'Zehn Argumente zur Beibehaltung des Kapitalismus - und eines dagegen' hinzuweisen. Der Artikel erschien in der 'Welt' und wurde von Michael Miersch verfasst, der ebenfalls auf der von 'Höllensturz' sehr geschätzten 'Achse des Guten' publiziert.

Der Kapitalismus als die "schlechteste aller Wirtschaftsordnungen, außer allen anderen", wie es darin heisst, ist aufgrund des offensichtlichen Scheiterns der Planwirtschaft vermutlich zur Zeit alternativlos. Gleichwohl ist ein Nachdenken über etwas Besseres als den bürgerlichen Staat, die Nation und das Kapital durchaus angebracht, da der Kapitalismus trotz allen Vorteilen, wie sie etwa im Artikel von Miersch geschildert werden, doch einige Unzulänglichkeiten produziert. Eine solche, bessere Wirtschafts- und Vergesellschaftungsform liefe wohl auf eine Weltgesellschaft der freien Individuen im je ungezwungenen und kooperativen Miteinander hinaus, in dem Reichtum und Luxus für alle zu haben sind.

Nicht nur Marx, sondern auch Adorno hat mit seinen Beobachtungen über die 'verwaltete Welt' die Grenzen des bestehenden Systems erkannt:



Allerdings möchten wir keinesfalls, wie zahlreiche linke und rechte Antikapitalisten, die sich doch nur regressive Vorformen des Kapitalismus zurückwünschen, hinter den Kapitalismus zurückfallen. Wir möchten ihn keinesfalls gegen etwas Schlechteres eintauschen, sondern eher seine uneingelösten Versprechen einforden. Justus Wertmüller formuliert es vor allem etwa ab 5 Min. 50 folgendermassen:



Das unbedingt hörenswerte und vermutlich ungekürzte Interview findet man ansonsten hier in mp3-Form.

Jan Gerber, der wie Wertmüller ebenfalls für die 'Bahamas' schreibt, hat sich auch zu den Feinden der Moderne, den Globalisierungskritikern, geäussert. Vor dem Hintergrund der G8-Proteste in Italien, die dieser Tage über die Bühne gehen, erhalten seine Einschätzungen einige Aktualität:


Keine Kommentare: