Donnerstag, 20. Januar 2011

Bonne chance, Tunisie libre!

Der Nahe Osten brodelt. Werden wir Zeuge einer wahrhaft historischen Zäsur, vergleichbar mit dem Kollaps der Sowjetunion und dem Untergang des real existierenden Sozialismus 1989 ff.? Wie es schon Thomas von der Osten-Sacken in seinem sehr lesenswerten 'Jungle World'-Artikel 'Die kommenden Aufstände' geschrieben hat, ist "keine andere heutige Region der Welt objektiv so reif für einen grundlegenden Wandel" wie der arabische / islamische Raum. Wird Tunesien 2011 zum Ausgangspunkt der demokratischen Revolution im Nahen Osten, einhergehend mit einer ultimativen Einforderung der Individuuen nach den universell geltenden Menschenrechten? Für die geknechteten Menschen in den arabischen / islamischen Despotien ist dies unbedingt zu hoffen. Dass die Linke - bis auf wenige Ausnahmen - derweil einmal mehr schweigt zu den wahrhaft revolutionären Vorgängen in Tunesien, die hoffentlich die bestehenden Unrechtsregimes in der gesamten Region ein für alle Mal hinwegfegen, überrascht nicht.

Was 2003 im Irak noch durch den antifaschistischen Krieg der USA gegen das faschistische Baath-Regime und den Irak Saddam Husseins seinen Anfang nahm, 2009 im Iran zu den grössten - vorläufig leider gescheiterten - Aufständen gegen die 'islamische Revolution' führte, scheint sich nun in Tunesien zu wiederholen: Die Entsorgung eines verhassten Regimes auf dem Müllhaufen der Geschichte.

Der Nahe Osten wird, wenn hoffentlich in ein paar Jahren rechtsstaatliche Strukturen die Beziehungen zwischen den Menschen untereinander und zwischen dem Staat und seinen Bürgern regeln, wenn demokratische und freie Wahlen möglich sein werden, über die eine freie Presse kritisch berichten wird, wenn Mahmoud und Hassan nicht mehr um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie sich gegenseitig ihre Liebe versichern und wenn Fatma ihre Sexualität offen und selbstbewusst ausleben kann, ohne dass ein religiöser Sittenwächter über ihre Libido zu Gerichte sitzen wird, wenn Handel, Tourismus und der kulturelle Austausch mit Israel selbstverständlich sein wird, wenn die Wissenschafter Lösungen zu den drängendsten Problemen der Welt beisteuern werden, wenn die Religion privatisiert und zivilisiert wird und in den Moscheen, in denen die Geschlechtersegregation längstens aufgehoben sein wird, auch einmal ein ironischer Spruch über den Propheten fallen wird, wenn die Länder der islamischen und arabischen Welt in den einschlägigen Entwicklungsindices längst zum alten Europa aufgeschlossen haben werden, wenn Sportler aus der islamischen Welt an den internationalen Titelkämpfen um Medaillen mitspielen werden und wenn die Potentaten längst abgeurteilt sein werden und die mit ihnen fraternisierenden Linken im alten Europa längst jegliche Bedeutung und Relevanz verloren haben werden, hoffentlich ein anderer sein, in dem Demokratie, die universellen Menschenrechte, das Primat des Individuums vor dem Kollektiv hochgehalten und in welchem Prosperität und Wohlstand herrschen werden.

Bonne chance, Tunisie libre
!