Sonntag, 22. Februar 2009

Die Wiederkehr des Staates

Der Staat, der sich für eine umfassende Vorsorge von der Wiege bis zur Bahre anpreist, genisst in westlich dominierten Gesellschaften zurzeit eine verklärte Popularität. Aufschwung erhalten haben die Staatsgläubigen aller Welt mit den manifest gewordenen Krisenerscheinungen des spätkapitalistischen Verwertungsimperativs und der Wahl Obamas zum neuen Präsidenten der USA, der als ein role model für die neue sexy Staatsgläubigkeit gilt, die Bescheidenheit und Dienst am Volksganzen propagiert. Mit den Verwerfungen auf den Märkten und der Wahl Obamas fühlen sich nebst den üblichen Verdächtigten von links (und teilweise ebenfalls von rechts) auch schüchtern sozialdemokratische Kräfte in ihrem plötzlich wieder aufflammenden kapitalismuskritischen Kurs bestätigt: Vereinfachend formuliert, fühlen sich selbst vormals eher dem als solchem apostrophierten 'Neoliberalismus' zugewandte Politiker, wie etwa der New Labour-Premierminister Gordon Brown (unter dem das Königreich erneut in alte britische verkrustete Strukturen zurückzufallen droht, nachdem die ökonomische Blase auch in England geplatzt ist), wieder in ihrem angeblichen Wissensvorsprung, z.B. über das Ausmass der Krise und wie ihr beizukommen wäre, bestätigt. Von den deutschen Politikern, bei denen die ehemalige Klima-Kanzlerin ihre sozialdemokratische Konkurrenz schwungvoll links überholt hat, ist man sich nicht viel anderes gewohnt. Die Staatsgläubigkeit ist in der deutschen Politik seit jeher besonders ausgeprägt. Beispielhaft kommt diese deutsche Illiberalität auch in der Kommentierung des Wirkens des Deutsche Bank-Chef Ackermann zum Ausdruck. Die Deutsche Bank sollte gemäss Ackermann, um auf freien Finanzmärkten erfolgreich zu sein, erst einmal einen Prozess des sogenannten 'Degermanizing' durchlaufen. Die Deutsche Bank musste also 'entdeutscht' werden. Da diese 'Entdeutschung' mit einem Bekenntnis zu offenen Märkten und einem Zurückweisen des Staates einhergeht, hielt sich die Begeisterung für den Kapitalismus angelsächsischer Prägung in den Stammlanden des rheinischen Kapitalismus nicht überraschend in Grenzen. Die Reaktionen unter anderem von deutschen Geistlichen, wobei deutsche Politiker sich oftmals ähnlich merkbefreit zu Wort melden, waren bezeichnend.

Im Zeitalter des gepriesenen Staates scheinen die Politiker aber vor allem eines zu vergessen: Weshalb, so meine allgemeine Frage, soll ausgerechnet der Staat wissen, was gut ist? In concreto heisst dies: Weshalb soll beispielsweise der Staat, dessen Wiederkehr als Regulator und bisweilen auch als Akteur auf den Finanzmärkten verstärkt gefordert wird, besser wissen, wie mit Komplexität umzugehen sei? Profitieren die Beamten und Bürokraten von einem Wissens- und Kompetenzvorsprung, der aufziehende Probleme besser lösen kann als das freie, maximal in einem staatlichen Rahmen sich abspielende, Zusammenwirken von vertraglich sich absichernden Individuuen und Organisationen?

Wer nun, wie die G-20, eine maximale Kontrolle der Behörden beispielsweise über den Finanz- und Kapitalmarkt einfordert, der vergisst, dass der Staat zuvörderst mitschuldig ist für die gegenwärtige Systemkrise: jahrelange Niedringzinspolitik durch das Fed, (halb)staatlich (Freddie Mac und Fannie Mae) geförderte sozialpolitische Massnahmen wie das Häuslebauen für einkommensschwache Gläubiger, Versagen der bereits bestehenden staatlichen Aufsichtsbehörden weltweit etc.

Die Wiederkehr des Staates wird auch für die in Washington unter Druck geratene Schweiz folgenreiche Konsequenzen haben:

"London will das Bankgeheimnis schleifen - Gordon Brown strebt am G-20-Gipfel ein Abkommen gegen Steueroasen an" (Link)

"EU-Länder einig über schärfere Finanz-Kontrollen - Vorbereitungstreffen in Berlin für den G-20-Gipfel" (Link)

"Obama sagt Steueroase Schweiz den Kampf an" (Link)

"EU-Wirtschaftsmächte fordern flächendeckende Kontrolle der Märkte" (Link)

Es heisst in diesen Artikeln etwa:

"Die grössten Wirtschaftsmächte der EU gehen mit der Forderung nach einer flächendeckenden Regulierung der internationalen Finanzmärkte in die Verhandlungen über eine neue Weltfinanzarchitektur beim G-20-Gipfel am 2. April in London."

"Die wichtigsten EU-Länder haben sich in Berlin auf konkrete Schritte für strengere Kontrollen der internationalen Finanzmärkte verständigt."

"Notwendig sei auch ein entschlossenes und zügiges Vorgehen gegen Steueroasen, heisst es in dem Entwurf des Abschlusspapiers. Geprüft werden sollen Sanktionen gegen Staaten, die sich bei Steuerflucht-Delikten einer Aufklärung verweigern."

"Die Änderungen, die wir beschliessen werden, müssen dann für sämtliche Staaten auf der ganzen Welt verbindlich sein."

Die Politiker, allen voran sozialdemokratische, scheinen zu vergessen, dass inbesondere Kapital sehr mobil ist. Was nützen strengere Vorschriften oder eine "flächendeckende Regulierung der internationalen Finanzmärkte" für Probleme, die erst in Zukunft eintreten werden und die man demzufolge heute noch nicht kennt? Das Kapital wird sich ungeachtet der strengeren Auflagen seinen eigenen Weg durch den bürokatisch-(über)reglementierten Komplex bahnen und wird versuchen, Lösungen zu finden, die weiterhin einen Mehrwert generieren. Dass es dabei früher oder später wiederum zu Verwerfungen kommen dürfte, ist bereits vorprogramiert. Auch lässt sich ob der Mobilität des Kapitals bezweifeln, ob es sinnvoll ist, effektvolle Inszenierungen gegen 'Steueroasen' darzubieten. Zumal sich die Aufmerksamkeit aktivistischer Politiker zunehmend und zumindest zum aktuellen Zeitpunkt fast ausschliesslich auf die Schweizer 'Steueroase' beschränkt. Werden wohl "die Änderungen, die wir beschliessen werden", die angeblich für "sämtliche Staaten auf der ganzen Welt verbindlich" seien (Zitat: Gordon Brown) insbesondere auch die zu England dazugehörigen 'Steueroasen' (die Kanalinseln Jersey und Guernsey) betreffen? Eine weltumspannende Lösung, die alle Steuerparadiese weltweit austrocken will - so grundsätzlich widersinnig diese Idee auch sein mag, da nicht etwa die 'Steuerwüsten' zurückgedrängt werden sollen - wird es angesichts der Mobilität des Kapitals wohl schwierig haben.

Vor dem Hintergrund des internationalen Druckes auf das Schweizer Bankkundengeheimnis, also des Schutzes des Einzelnen vor einem allzu neugierigen Staat, und auf ihre föderalistische Steuergesetzgebung soll an dieser Stelle auch auf die im Zusammenhang mit der Wiederkehr des Staates stehende grundsätzliche Problematik des Verhältnisses zwischen Bürger und Staat hingewiesen werden. Die aus staatspolitischen Gründen durchaus notwendige und sinnvolle Schweizer Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug, die in dieser Form auf internationaler Ebene wohl kaum mehr aufrechtzuerhalten ist, ist im Grunde Ausdruck von Vertrauen in das Individuum und also gleichzeitig auch von Misstrauen gegenüber dem Staat. Dieser Staatsskeptizismus, der in der Schweiz vielleicht mehr als in anderen westlichen Gesellschaften (vor allem Frankreich und Deutschland) Tradition hat und der ein Restbestand von liberaler, ja teilweise gar libertärer Vergesellschaftungsform ist, sollte selbst im Zeitalter der Wiederkehr des Staates nicht leichtfertig aufgegeben werden.

Oder wie es Gerhard Schwarz gestern in seinem Leitartikel in der 'NZZ' schrieb:

"Im Gegensatz zu dem, was Kritiker im In- und Ausland behaupten, geht es beim Bankgeheimnis helvetischer Prägung keineswegs nur oder in erster Linie um eine schlaue Suche nach dem eigenen Vorteil, sondern es geht um ein anderes Verständnis des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger. Der deutsche Wirtschaftsethiker Peter Koslowski hat dazu formuliert: «Das Steuerrecht des Staates steht, entgegen weit verbreiteten Anschauungen, nicht über dem Recht auf Privatheit.»" (Link)

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