Dienstag, 12. August 2008

Der Krieg des neuen Russland

Seit einigen Tagen ist im Kaukasus aus einem kalten ein heisser Krieg geworden. Die etwas unüberlegt anmutenden georgischen Aktionen als Reaktion auf die von Südossetien aus gesteuerten anhaltenden Provokationen Russlands zu Beginn des bewaffneten Konflikts sind sicherlich noch kritisch zu analysieren. Auch vor dem Hintergrund einer endgültigen Einbindung Georgiens in den Westen (Nato), die wohl kaum gelingen dürfte, solange sich Tbilisi gegen Russland im Krieg befindet, ist es wichtig, die Ereignisse in Georgien und Südossetien akribisch zu rekonstruieren, die zu dieser Eskalation dieses Konflikts geführt haben um allenfalls politische (lies: personelle) Konsequenzen ziehen zu können (zumal auf Saakaschwilis ursprüngliche westlich angebundene Reform-Agenda inzwischen doch einige Schatten aus vergangenen Schewardnadse-Zeiten gefallen sind (die letzten Wahlen dürften wohl kaum frei im westlichen Sinne gewesen sein)).

Nichtsdestotrotz sollte der westlich orientierten Regierung Saakaschwilis in diesem Krieg mit Russland aus prononciert westlicher Optik (eine andere Optik ist seit 9/11 und des War on Terror überdies aus antifaschistischer, kommunistischer, neokonservativer, libertärer oder anarcho-kapitalistischer Sicht ohnehin nicht mehr zulässig) ungeteilte Solidarität zuteil kommen.
Von den reaktionären und völkischen Sezessionsbestrebungen Südossesetiens und Abchasiens von Georgien, die in einer von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannten einseitigen Unabhängigkeitsausrufung mündeten und welche von Russland unterstützt werden, abgesehen, dürfte es schwierig sein, zum Status quo ante zurückzukehren, zumal das neue Russland, Putins Russland, offenbar gewillt ist, sein Grossmachtsstreben und seinen Einfluss in der Region auszudehnen und die ehemalige Sowjetrepublik Georgien wieder unter seinen Einflussbereich zu bringen.

Die Friedensfreunde, die normalerweise bei jedem gezielten Präventivschlag Israels gegen seine Feinde aus ihren Löchern gekrochen kommen und Israel 'Unverhältnismässigkeit' vorwerfen, sind verdächtig still ob der russischen Bombardements gegen zivile georgische Einrichtungen und Zivilisten. Keiner von den Wursthaar- und Pace-Fahnen-Träger meldet sich zu Wort angesichts der Unverhältnismässigkeit der von Moskau angewendeten Mittel in diesem Konflikt.

In den Medien und insbesondere in den Leser-Kommentaren sind die Meinungen unterschiedlich. Ich verweise an dieser Stelle gerne auf einen Kommentar in der Neuen Zürcher Zeitung, der die Sachlage trotz der nachwievor unsicheren Nachrichtenlage (z.B. über den Ursprung der Eskalation) vermutlich ziemlich objektiv abbildet. In den Leser-Kommentaren (nicht nur bei diesem Kommentar) entblöden sich viele Stimmen nicht, in die übliche anti-amerikanische Verschwörungsfalle zu tappen (einige behaupten sogar, Israel halte im Hintergrund die Fäden in der Hand): um nichts anderes als Öl gehe es in diesem Krieg, Saakaschwili sei eine Marionette der USA, die ihn benutzt hätten, um gegen Russland auf dem Gebiet Südossetiens einen Stellvertreterkrieg auszutragen etc pp. Schon aufgrund dieser abenteuerlichen, schlimmstenfalls jedoch gefährlichen Verschwörungstheorien muss man in diesem Konflikt zu Georgien halten (jedoch nicht ohne die Leiden der unbeteiligten Zivilisten auf allen Seiten zu vergessen). Es gibt jedoch auch bei den NZZ-Leserkommentaren andere Stimmen, die eine pronconiert pro-westliche Position vertreten. Zu ihnen gehören: Alexandra Hamilton, Walter Krupinski und Michel C. Zala.

Die US-Aussenpolitik mag in der Vergangenheit zwar durchaus verurteilenswürdig gewesen sein, doch seit 9/11 hat die USA viel versucht, um der Welt Demokratie und Wohlstand zu bringen und um den radikalen (hauptsächlich islamischen) Fundamentalismus zurückzudrängen. Es zeigt sich bei diesem nun im Kaukasus ausgebrochenen Krieg eindrücklich, dass Putin nachwievor der grosse Mann in Russland ist, das weiter als jemals zuvor davon entfernt ist, eine Demokratie westlichen Zuschnitts zu sein.

Im Kampf um Aufklärung, Demokratie, Freiheit und Wohlstand für möglichst viele hat sich nun für den Westen mit Putins Russland offenbar eine neue Front eröffnet.

Edit: Um in den Artikel eine völkerrechtliche Expertenmeinung einfliessen zu lassen, verweise ich gerne auf einen NZZ-Artikel aus der Mittwochsausgabe vom 13. August 2008, Seite 7. Gerne möchte ich - freilich etwas verspätet - auch noch zum Ausdruck bringen, dass - obwohl auch schon bereits in meinem Text eine gewisse Kritik an der Rolle Tbilisis und Saakaschwilis (im 1. Abschnitt) laut wurde - das georgische Verhalten, jedoch insbesondere dasjenige seiner Truppen (die offenbar gegen allgemein geltende Normen, aber nicht gegen geltendes Völkerrecht verstossen haben (im NZZ-Völkerrechtsartikel heisst es diesbezüglich, dass die "innerstaatliche Anwendung [von] militärischer Gewalt" in einem "nationalen Konflikt", der "Gegenstand eines internationalen Konfliktsmanagements" werde, lediglich "verpönt" sei)) kaum kriegsrechtlichen Standards (Genfer Konventionen und ihren Zusatzprotokollen) entsprochen haben dürfte. An der aus westlicher Warte formulierten Solidarität mit Georgien, um die es mir im Text hauptsächlich ging, ändert dies freilich nichts.

1 Kommentar:

Weisz (Michel C. Zala) hat gesagt…

Hervorragend.

Schoen zu sehen, dass es auch in der Schweiz noch ein paar leute mit Weitsicht gibt.
Selbstredend, koennen Sie gerne cross linken, Stefan.

Gruesse aus Kalifornien