Montag, 1. Juni 2009

Prof. em. Dr. rer. pol.

Manche Professoren, seien sie emeritiert oder noch immer öffiziös im Dienste ihrer Alma Mater, partizipieren gelegentlich an öffentlichen Debatten und bringen dabei sich und ihr wissenschaftliches Renommé in die Diskussionen ein, die, wie dies in parlamentarischen Demokratien die Regel ist, oftmals via die Medien vermittelt werden. Die dabei manchmal entstehende Furcht des nach Öffentlichkeit strebenden Wissenschafters, dass das öffentliche Publikum seine Beiträge vielleicht mit Unverständnis aufnehmen könnte, treibt oftmals seltsame Blüten. Das in langen Jahren akribisch angeeignete professorale Wissen soll schliesslich möglichst verständlich in einem breiten Resonanzraum gestreut werden, um dem Ziel, sich selber und seine Positionen anzupreisen, Genüge zu tun. Ein gerüttelt Mass an populärwissenschaftlichen Abziehbildern von den gemeinhin als graue Theorie geltenden wissenschaftlichen Erkenntnissen vermag dabei das Publikum oftmals anzusprechen.

So hat sich etwa Walter Wittmann, der emeritierte und durchaus okaye Ökonomieprofessor der Universität Freiburg, im gestrigen 'Sonntagsblick' zur Finanz- und Wirtschaftskrise geäussert. Die im Interview mit dem Staatsfetischisten Werner Vontobel gegebenen Antworten scheinen sich dabei durchaus an die Klientel des linksliberalen Boulevard-Blattes zu adressieren. Ohne seine wissenschaftliche Kompetenz in Frage stellen zu wollen, übt sich Herr Prof. em. Dr. rer. pol. Wittmann dennoch in komplexitätsreduzierenden Analysen und Vorschlägen zu Ursprung und Bewältigung der Krise. So sagt er etwa: "Es reicht eben nicht immer, die Lage rein ökonomisch zu analysieren und zu zerreden. Manchmal muss man sich auch einfach em­pören!" Dabei hat er doch erst kürzlich in einer Rubrik des 'Magazins' verlauten lassen, was er alles nicht möge:

"Was ich nicht mag

Populisten.
Massenveranstaltungen.
Schönschwätzer.
Scheinheilige.
Moralisten.
Zwang zum Konsens."

Es scheint fast so, als ob er sich bei der Massenveranstaltung, die der 'Sonntagsblick' jeweils Wochenende für Wochenende veranstaltet, allzu sehr in der Pose der ihm eigentlich nicht genehmen Rollen - etwa der eines Populisten oder eines Moralisten - gefallen würde, indem er stimmungsvoll und inbrünstig in den Chor der momentan Oberwasser spürenden Keynesianer einstimmt und er also freiwillig dem "Zwang zum Konsens" beipflichtet.

Vielleicht sei ihm ein Beitrag Silvio Borners, eines anderen und noch lehrenden Ökonomieprofessors an der Universität Basel, in der aktuellen 'Weltwoche' empfohlen ("Verlorene Unschuld"). Borner schreibt etwa:

"Wirtschaftskrisen erschüttern die Wirtschaftswissenschaften. Die durchaus löbliche Absicht, die nächste Krise zu vermeiden, kann jedoch zu neuen Fehlern führen. Drei Beispiele:

(...)

In Krisenzeiten treibt die Regulierung jedoch ihre schönsten Blüten. Eines Tages wird die Angst wieder der Euphorie weichen und neue Übertreibungen inszenieren. Diese können freilich gerade nicht auf Vorrat wegreguliert werden, weil neue Spekulationsblasen nicht voraussehbar sind. Wenn diese sich abzuzeichnen beginnen, ändert sich das Risikoverhalten so dramatisch, dass die Finanzakteure wie eindringendes Wasser trotz angeblich wasserdichter Regulierungen wieder neue Ritzen finden.

Der Ökonom und Nobelpreisträger Robert Merton stellte die richtige Frage: «What drives financial innovation?» Er gab die richtige Antwort gleich selber: «Taxes and regulations.» Jede Regulierung hat unvorhersehbare und nicht beabsichtigte Konsequenzen. Wer damit nicht leben kann, muss politisch sämtliche Eventualitäten derart zumauern, dass jede Innovation erstickt. Mit verheerenden Konsequenzen für unseren Wohlstand, der ohne die Entwicklung hochkomplexer und innovativer, aber auch hochvolatiler Finanzmärkte unvorstellbar wäre."

Nun ficht dies Wittmann zwar noch nicht wirklich an - aber später schreibt Borner weiter:

"Weil die private Nachfrage fehle und Kapazitäten ungenutzt blieben, könne der Staat ohne volkswirtschaftliche Kosten seine Ausgaben ausdehnen. Keynes stellte staatliche Programme bildlich so dar, dass eine Gruppe von Arbeitern Löcher gräbt, die von einer anderen Gruppe wieder zugeschüttet werden. Selbst wenn dies direkt unproduktiv sei, werde diese Politik über den Einkommens-Multiplikator indirekt «produktiv». Ein positiver Kapazitäts- oder Angebotseffekt ist in dieser Situation der Unterbeschäftigung und Unterauslastung nicht gefragt.

Wie Friedman bei der Inflation übersehen Keynes und seine Nachbeter die wirtschaftspolitische Dimension. Um im Bild zu bleiben: Die aufgefüllten Löcher von Keynes müssen schliesslich nochmals saniert werden, weil sie durch interessenpolitischen Giftmüll verseucht sind. Dieser besteht in falschen Strukturen und Technologien, die in der Krise ohne Rücksicht auf Verluste an zukünftiger Produktivität politisch «verlocht» werden. Für alle, die für mehr Staatsausgaben «weibeln», ist die Krise die Chance, alles Mögliche zu subventionieren. Diese interessengetriebene Ausgabenflut hat negative Folgen für die Erholung und das Wachstum, weil die Folgekosten der Schulden wie der Fehlinvestitionen die Zukunft belasten. Der Kapazitätseffekt ist nicht mehr wie bei Keynes gleich null, sondern negativ! Eine Erkenntnis der politischen Ökonomie, die vom traditionellen Keynesianismus ausgeblendet wird."

Zwischen Prof. em. Dr. rer. pol. Walter Wittmann aus Freiburg und Prof. Dr. rer. pol. Silvio Borner aus Basel mag in der zur Zeit öffentlich breit verhandelten Forderung nach staatlichen Konjunkturprogrammen zur Stimulierung der Wirtschaft ein inhaltlicher Dissens bestehen - im Bedürfnis nach breiter öffentlicher Publizität gleichen sie sich dann aber doch noch. Auf der einen Seite wird das linksliberale und linkspopulistische boulevardeske Lager bedient ('Sonntagsblick'), auf der anderen das marktwirtschaftliche, anarcho-liberale und bisweilen auch rechtspopulistische Lager ('Weltwoche').

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