Donnerstag, 28. Mai 2009

Der merkbefreite Systemrapper Stress und die SVP

'Tages-Anzeiger online', der 'Blick' für Maturanden, titelt:

"Rapper Stress attackiert Blocher in der «New York Times»" (Link)

Und in der 'New York Times' heisst es:

"In Quiet Switzerland, Outspoken Rapper Takes On the Far Right" (Link)

Jetzt fehlt eigentlich nur noch die englische Zeitung 'The Independent' (wie im Wahljahr 2007 mit dem Artikel "Switzerland: Europe's heart of darkness?") mit einem Artikel über die angeblich durch und durch fremdenfeindliche Schweiz und über den nationalkonservativen Politiker Blocher (oder wie es die 'NYT' schreibt: "Christoph Blocher, the leader of the ultranationalist Swiss People’s Party").

Nun soll keineswegs abgestritten werden, dass Blocher tatsächlich ein Politiker aus dem rechten Parteienspektrum ist. Doch der 'NYT'-Artikel verzerrt die Realität dann doch etwas gar stark. Klischees werden breitgetreten, Klischees, welche der merkbefreite Systemrapper Stress teilt und welche er mit seiner 'Kritik' in seinen Tracks ständig reproduziert.

Der Artikel scheint hingegen kaum an einer sachlichen Auseinandersetzung mit den konkreten Inhalten der "Swiss People’s Party" (der SVP) interessiert zu sein. So wird etwa mit keiner Silbe erwähnt, dass die "Swiss People’s Party" in vielen Punkten mit der Republikanischen Partei der Vereinigten Staaten von Amerika vergleichbar ist. Wie in dieser gibt es auch in der SVP unterschiedliche Parteiströmungen, von denen zugegebenermassen manche reaktionärer sind als andere. Der Artikel in der 'NYT' scheint - wie dies auch in der schweizerischen Medien- und Kulturlandschaft die Regel ist - etwas tendenziös zu sein, sobald es um die SVP und ihre Politik geht.

In Bezug auf den Systemrapper Stress verweise ich auf 2 Artikel, die in der 'Weltwoche' erschienen sind und die erklären, warum Stress trotz oder vielleicht gerade wegen seinem angeblichen 'politischen Engagement' nichts anderes als ein Systemrapper ist:

"Blocher des Rap" (Link)

Beachtenswert darin scheint mir zu sein, was der Berner Rapper Kutti MC sagte: "Wenn ein Künstler explizit politisch sein will, sollte er nicht bloss etwas bestätigen, was das Publikum ohnehin denkt. Er müsste zum Nachdenken anregen."

Der zweite Artikel:

"Kuschel-Rapper"

Da dieser Artikel nur für Abonnenten online zugänglich ist, werde ich ihn mal hierhin copy and pasten:

"Kuschel-Rapper

Schweizer Rapper wie Greis, Bligg und Stress pflegen das branchenübliche Bad-Boy-Image. Tatsächlich kuscheln sie längst mit Bundesämtern und politisch korrekten Bildungsfunktionären.

Von Daniela Niederberger

Die Werte des Hip-Hops stünden mehr oder weniger unverrückbar fest, schreibt Nelson George, der beste Experte auf dem Gebiet, in seinem Buch «XXX – Drei Jahrzehnte HipHop». Es seien dies: eine rebellische Einstellung, Identifikation mit der Strasse, Materialismus und Aggression.

Folgt man dieser Definition, sind hiesige Hip-Hopper kaum mehr als solche zu bezeichnen. Die Schweizer Varietät des Rap-Künstlers zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich mühelos domestizieren lässt. Sie verhält sich geradezu staatstragend, das Gegenteil von Rebellion. Statt mit der Strasse identifizieren sich eidgenössische Rapper mit Bundesämtern, Arbeitgebern und wohlmeinenden Stiftungen. Statt aggressiv sind sie vorbildlich und nett, echte Kuschel-Rapper.
Was ist gemeint? Beginnen wir mit Bligg. Er ist das Aushängeschild einer Kampagne der Schweizerischen Metall-Union und soll Jugendliche dazu bringen, eine Lehre in der Metallbranche zu machen. Der eigens kreierte Rap «Für s Läbe» tönt so:

Du bisch jung, gsund und muesch di entscheide, Metallbauer oder Kleiderdesigner, KV-Studentin oder Music Star, wos bis zletscht nur eine schafft /
Ich has sälber nie glaubt, aber bin hüt schlauer / du bisch kän Maa, wil du Sex häsch mit Fraue / du bisch en Maa wänn d chasch s Ässe uf de Tisch zaubere. / D LAP im Sack isch hützutags Gold wert / es isch e schöns Gfühl d Mueter stolz z gsee. / Lern min Fründ, ohoh, schaff der e Basis! / Lern min Fründ, uhuh, schaff der e Basis!

Egal, wenn die Reime holpern. Die Schüler und Lehrlinge, vor denen Bligg auftrat, waren begeistert. Ebenso die Verantwortlichen der Metall-Union, die sich und ihre Idee (leicht redundant) so loben: «Um die Jugend anzusprechen, muss man ihre Sprache sprechen. Was liegt näher, als auf ein Zugpferd zu setzen, das [. . .] einen engen Kontakt zu Jugendlichen pflegt und in seinen Rap-Liedern genau ihre Sprache spricht?»

Rap ist immer gut, dachte auch die Stiftung für Erziehung zur Toleranz. Sie gibt das Lehrmittel «Respect! Rap für Toleranz in der Schule» heraus. Nun hatte man die zündende Idee eines Wettbewerbes. Schülerinnen und Schüler sollten zu vorgegebenen Themen wie Rassismus und Integration «Rap-Zeilen drechseln», wie die NZZ schrieb. Die Besten durften ihre Songs im Zürcher Volkshaus vortragen.

Esoterischer Sprechgesang

«Stargast» war Rapper Greis, der auch für Toleranz war und zudem Jury-Mitglied. Die Zürcher Bildungsdirektorin Regine Aeppli hatte einen Auftritt, den wir hier kurz vermelden, um danach wieder den Mantel des Schweigens darüber auszubreiten. Aeppli trug einen eigenen Rap vor, und der ging so: «Lueg, lueg, was für schöns Wätter, s isch Summer, für immer!» Die Jugendlichen klatschten höflich.

Greis erhielt jüngst den Förderpreis gegen Rassismus und Diskriminierung des Anne-Frank-Fonds. Vielleicht wegen dieser Lyrics aus dem Rap «Teil vo dr Lösig»:

Obwohl sie im Parlamänt wieder Frömdehass verträte / und de Arm ufhebä als ob sie hätte Auschwitz vergässe / obwohl ihres Ziel bekannt isch, si bhalte d Macht über alli / solang jede Angscht hätt vor em angere / mir si nid blind, mi Nachbar isch nid mi Find / [. . .] Gnueg kritisiert, jede weiss wer de Böös isch / aber jtz werde mer Teil vo dr Lösig.

Im Video rennt Greis verwundet durch den Wald, als würde er verfolgt. Er spricht:
Säg em Augeblick er söll verwiile und an es Wunder gränzt / und es längt und ich gärn so untergäng / ich bi scho fasch am Ziel, de einzig Find wo no bliibt bin i sälber / s isch nid so kompliziert, wenn d nid Angst häsch z verlüre wird alls nume liechter.»

Und so weiter. Etwas esoterisch, nicht sehr kohärent und die Reime nicht über alle Zweifel erhaben. Was zweitrangig wäre, wenn Rhythmus und Flow erstklassig wären.

Schweizer Rapper geben die Unterdrückten, die Underdogs, die Guerillakämpfer oder einsamen Mahner. Doch es bleibt Pose. Denn sie formulieren ihre Rebellen-Lyrik im Solde der Mächtigen und Grossen. Der Westschweizer Rapper Stress dreht im Auftrag von Coop einen Öko-Werbefilm, die Basler Formation Brandhärd lässt sich vom Europarat anheuern. Für dessen Kampagne «Alle anders – alle gleich» rappen sie mit afrikanischen Musikern den Song «Même sang». «Im Chärn simmer glich, s Herz macht de Beat, s Bluet zirkuliert, so mues es sii.» Immerhin: Der Rhythmus stimmt, der Rap ist recht gut. Vorgetragen wurde er an der Schlussveranstaltung der Kampagne in Bern — ein Anlass, den der Leiter des Bundesamtes für Sozialversicherungen moderierte.

Bligg rappt im Auftrag der Lehrmeister und tönt wie einer. (Seine neuste Platte, «0816», wurde zum grossen Teil mit Instrumenten aus der Volksmusik eingespielt.) Greis rappt im Auftrag der Lehrer, und Gimma gibt im Chor mit dem Trio Eugster dessen Hit «Jetzt mues de Buuch weg» zum Besten. Für die Werbekampagne von Graubünden Ferien und Calanda. Mutig, frech, provokativ geht anders. Das gleiche Problem haben Stress, Greis und Bligg mit ihrem Song «Fuck Blocher». Wäre die Schweiz tatsächlich die von Greis besungene Diktatur und wäre Christoph Blocher deren Herrscher, müsste man sagen: Chapeau! Die haben Füdli. Wo aber bleibt das Rebellische, wenn man das sagt, was so ziemlich die gesamte Medienöffentlichkeit – in anderen Worten – formuliert und ein Grossteil der Politiker dazu?

Verzweifelt gesucht: Getto-Authentizität

Hip-Hop ist ein weites Feld. Es gibt längst nicht nur die bösen Buben, die mit breiten Goldketten um den Hals von Schiessereien und leichten Mädchen singen, auch wenn über sie am meisten geschrieben wird. Die Zeit des Gangsta-Rap ist laut Nelson George ohnehin so gut wie vorbei. Seit Ende der neunziger Jahre gibt es eine Strömung, die sich Independent Hip-Hop nennt (Vorläufer waren die Beastie Boys), und deren Protagonisten hauptsächlich Weisse sind, die sehr wohl wissen, dass ihnen die Getto-Authentizität abgeht. Sie rappen über Ökologie und soziale Ungerechtigkeit, sind aber in ihrer Haltung konsequent: Ihre Platten erscheinen nicht bei grossen Firmen, sondern bei ihren eigenen Labels. Understatement ist alles, mit den Medien spricht man nicht, und von offizieller Stelle lässt man sich schon gar nicht engagieren. Sie entziehen sich dem Mainstream. Eben deshalb sind sie trotz fehlender traumatischer Kindheit glaubwürdig.

Vertreter des Independent Hip-Hop gibt es übrigens auch in der Schweiz, sie heissen Göldin & Bit-Tuner und Lügner. Nur hat ausserhalb der eingefleischten Fan-Gemeinde noch nie jemand von ihnen gehört, von Lügner existiert ein einziges Foto. Die drei haben im Unterschied zu ihren käuflichen Berufskollegen begriffen: Wer in die Rolle des Outlaw schlüpft, kann nicht als eidg. dipl. Auftrags-Rapper auftreten. Alles hat eben seinen Preis.

Mitarbeit: Bettina Weber"

Göldin & Bit-Tuner sei an dieser Stelle, im Gegensatz zum peinlichen Systemrapper Stress, sehr empfohlen:

1 Kommentar:

flow hat gesagt…

göldin & bit-tuner hört man auch im ausland, aber sicher selten.
lernte sie durch dandelion radio (uk) kennen, dort im dezember von mark cunliff im dezember mit 'joy division country-club'
und im januar 'auqariumfisch'.
tunes & texte gehen mir nicht aus dem kopf.
des schweizer deutschs nicht mächtig such ich nach den texten.
gibt es die irgendwo?
würde mich freuen.