Sonntag, 8. November 2009

"«Europa hat sich der islamischen Minderheit angepasst»"

Christopher Caldwell, ein US-amerikanischer Neocon, spricht in einem Interview über den Islam in Europa und darüber, dass Old Europe, das sich den USA gegenüber oftmals moralisch überlegen wähnt, vom klassischen Einwanderungsland USA noch vieles lernen könnte:

"«Europa hat sich der islamischen Minderheit angepasst»" (Link)

Einige Auszüge:

"Ist es Zufall, dass ein Amerikaner dieses Buch geschrieben hat und nicht ein Europäer?

Wahrscheinlich nicht. Mein Vorteil ist, dass ich grössere Distanz habe. Die europäischen Autoren geben die Schuld rasch ihren jeweiligen nationalen Politikern oder suchen die Gründe für die Migrationsprobleme in den Eigenheiten der einzelnen Länder. Ich hingegen habe nach gemeinsamen Tendenzen gesucht und bald gemerkt, dass alle europäischen Länder mehr oder weniger die gleichen Probleme haben, vom Umgang mit Kopftüchern und fundamentalistischen Predigern über die hohe Arbeitslosigkeit unter jungen muslimischen Migranten bis hin zu Ehrenmorden. Mein zweiter Vorteil ist, dass ich als Amerikaner aus einem Land komme, das viel Erfahrung mit multiethnischen Gesellschaften hat. Wir haben unsere eigene Revolution als Einwanderungsland schon hundertfünfzig Jahre hinter uns.

(...)

Der liberale «Economist» wirft Ihnen vor, dass es sehr viel grössere Unterschiede unter den Muslimen in Europa gibt, als Sie es in Ihrem Buch zugestehen. Was hat ein albanischer Muslim in Bern mit einem pakistanischen Muslim in East London zu tun? Nichts!

Natürlich sieht jedes Kind die enormen kulturellen Unterschiede zwischen diesen Muslimen. Doch auf der politischen Ebene sind die Differenzen sehr viel kleiner. Es gibt Faktoren, welche die ursprüngliche kulturelle Verschiedenheit zwischen den Muslimen vermindern und eine Art muslimische Hyperidentität kreieren. Das sind zum Beispiel bestimmte politische Themen wie der Irak-Krieg oder Israel. Da gibt es kaum Meinungsverschiedenheiten unter den Muslimen.

(...)

Das zeigt doch, dass die europäischen Gesellschaften nicht so kraft- und orientierungslos sind, wie ihnen von konservativer amerikanischer Seite oft unterstellt wird. Auch die Bereitschaft, den Muslimen Sonderregelungen zuzugestehen, hat in vielen europäischen Ländern markant abgenommen.

Das mag sein. Doch ich bleibe bei dem, was ich am Schluss des Buches schreibe: Wenn eine unsichere Mehrheitskultur, die alles relativiert, auf eine Kultur trifft, die zwar in der Minderheit ist, aber ein grosses Selbstvertrauen und Dynamik hat, dann ist es normalerweise die Mehrheitskultur, die sich der Minderheitskultur anpasst.

(...)

In Ihrem Buch sagen Sie, Immigration bedeutet Amerikanisierung. Heisst das, dass Europa amerikanischer wird?

Wahrscheinlich ja. Fast alle Gesellschaften haben in den letzten zwanzig Jahren einen Trend zu mehr Markt, mehr multiethnischen Gesellschaften und weniger Tradition erlebt. Für die einzelne Gesellschaft heisst das: mehr Chaos. Das klassische Einwanderungsland Amerika hat im Verlauf der letzten hundertfünfzig Jahre damit zu leben gelernt. Die Europäer hingegen tun sich sehr schwer mit der Vorstellung, dass sie sich vom «Europa der Kathedralen» verabschieden müssen.

Was kann Europa von Amerika lernen?

Dass der gewachsene Wohlfahrtsstaat nach europäischem Muster nicht zu Immigration im grossen Stil passt. Es ist kein Zufall, dass in den USA nie ein ähnlicher Sozialstaat aufgebaut wurde. Ein wesentlicher Grund liegt darin, dass sich die Leute in einer ethnisch sehr unterschiedlichen Gesellschaft weniger kennen. Wer seine Nachbarn nicht kennt, ist auch weniger bereit, sein Steuergeld in Sozialausgaben zu investieren.

Viele Europäer halten aber gerade den Sozialstaat für eine der grössten politischen Errungenschaften.

Europa hat sich im Gegensatz zu Amerika viel zu lange vor klaren Signalen und Forderungen gegenüber den Einwanderern gedrückt. Selbst jene Amerikaner, die nun wirklich nicht jeden Immigranten mögen, würden einem illegalen Einwanderer nie vorwerfen, dass er in den USA arbeiten will. Das amerikanische System gegenüber den illegalen Immigranten, um die sich niemand kümmert, mag für Europäer kalt und herzlos sein. Aber es ist klar, und das ist ein grosser Vorteil."

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