Mittwoch, 29. April 2009

Soziologische Analyse der Krise

Das ehrwürdige und traditionsreiche, ehedem auch von Max Horkheimer geleitete Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main, einer, wenn nicht der bedeudentsten Forschungsstätten für den wissenschaftlichen Marxismus, hat sein wertvolles soziologisches Erbe offenbar bis heute gut erhalten (Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse, Erich Fromm, Leo Löwenthal, Friedrich Pollock, in Teilen wohl auch Jürgen Habermas lassen grüssen). In der Tradition der von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer begründeten Kritischen Theorie der Frankfurter Schule erschien gestern im Feuilleton der 'Neuen Zürcher Zeitung' von Sighard Neckel, Mitglied der Leitung des Instituts für Sozialforschung, ein cleverer Beitrag ("Das Desaster der Erfolgskultur - Das abrupte Ende des Gewinnspiels erschüttert nicht nur das Finanz- und Wirtschaftssystem") zur gegenwärtigen Wirtschafts-, Finanz- und Vergesellschaftungskrise. Darin umschreibt er im schönsten Soziologen-Deutsch die Ursachen der Krise:

"Da nur noch das Ziel der Gewinnsteigerung, aber nicht mehr die Mittel zählten, mit denen es erreicht werden sollte, zeigte sich das Finanzsystem offen für alle Erscheinungsformen wirtschaftlicher Devianz. Von politischer Kontrolle weitgehend befreit und beglaubigt durch das Mantra von Rating-Agenturen, war es nicht individuelles Fehlverhalten, sondern ein Systemeffekt, dass sich die Wirtschaftskultur des schnellen Geldes paarte mit Falschmünzerei."

Es handele sich also keineswegs um individuelles Fehlverhalten, wie von Populisten von links und rechts immerzu kolportiert wurde und wird, sondern doch eher um systemische Unzulänglichkeiten.

Sehr schön ist ebenfalls:

"Die Sucht nach Erfolg, gemessen in reinen Geld- und Statusbegriffen, wurde zum mentalen Pendant des Finanzmarktkapitalismus, zur Subjektivierung einer Wettbewerbsgesellschaft, in der sich das Ranking auf vorderen Plätzen zu einer Art Privatreligion aufrichten konnte. – Durch den Banken-Crash ist daher viel mehr erschüttert worden als nur das Finanzsystem. Wenn heute unter den Vermögensbesitzern der Verlust von Renditen als persönliches Problem und psychische Krise ankommt, dann schlägt sich darin auch nieder, wie wirksam sich die Maximen des raschen finanziellen Erfolgs im Habitus des modernen Bürgertums bereits verankern konnten. Jenseits dieser sozialen Markierung treibt das Ende des Traumes vom scheinbar mühelosen Reichtumserwerb Angst und Häme in einer brisanten Mischung hervor. Die unteren Schichten müssen befürchten, auch in der Zeit der grossen Verluste die Verlierer zu sein, nachdem sie es in der Zeit der grossen Gewinne ebenfalls schon gewesen sind."

Solche Einschätzungen stünden den deutschen Sozialdemokraten sicherlich auch gut an, bevor sie sich - einmal mehr - über Ackermanns Traumergebnis "empören."

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