Montag, 27. Juni 2011

Eine kurze Polemik gegen den ideellen Gesamtstadtzürcher

Heute erschien im 'Tages-Anzeiger', der normalerweise nicht im Ruf steht, der Globalisierung besonders wohlwollend gesinnt zu sein, eine durchaus zutreffende Polemik (nicht online verfügbar) zur Eröffnung der 16. Starbucks-Filiale in der Stadt Zürich. Die Polemik kann als Aperçu über den ideellen Gesamtstadtzürcher gelesen werden, welcher sich globalisierungskritisch geriert und der sich theoretisch wie praktisch dennoch - oder vielleicht gerade deswegen? - stets für die Verewigung des falschen Ganzen einsetzt.

Hierzu nun die 'Tagi'-Polemik:

"Starbucks, die sechzehnte

Globalisierung. Alle jammern darüber, aber alle machen gern mit.

Es wird also eine weitere Starbucks-Filiale in Zürich eröffnet (der TA berichtete). Und zwar die 16. Das lässt zwei Schlüsse zu: Zum einen lesen die Zürcherinnen und Zürcher offenbar gerne Klatschblätter; in ihnen hält die Prominenz auf den Bildern der Paparazzi notorisch einen Kaffeebecher von Starbucks in der Hand.

Da denkt dann der gemeine Zürcher, dass ein solcher Becher ihm auch einen Hauch Glamour verleiht. Er trinkt seinen Latte deshalb ebenfalls im Gehen, weil er ja stets total busy ist und das aus den amerikanischen Filmen und TV-Serien kennt, wo alle immer so cool und chic sind. Und so holt er sich mit einem Pappbecher das New York-Gefühl an die Limmat. Auch wenn er dann in den Bus nach Altstetten steigt. Oder nach Oerlikon.

Zum anderen ist es bemerkenswert, dass ausgerechnet die Bewohner der Stadt Zürich derart in Liebe zu einer Kaffeekette aus Amerika entflammen. Denn sie bezeichnen sich ja gerne als konsumkritisch und beklagen die Globalisierung. Sie finden es überhaupt schlimm, dass Traditionsgeschäfte allenthalben schliessen und nur noch internationale Firmen die horrenden Mietpreise an bester Lage bezahlen können. Ach, wird händeringend geklagt, die Städe dieser Welt würden sich mittlerweile alle zum Verwechseln ähnlich sehen! Gleichsam seelenlos seien sie geworden! Vorbei sei es mit Lokalkolorit und Individualität! Schuld daran seien die Grosskonzerne - unsympathisch findet man die und dass das Geld die Welt regiert.

Bloss: Irgendjemand muss es lukrativ für Starbucks machen, die 16. Filiale in Zürich zu eröffnen. Und das sind die Leute, die dort ihren Kaffee kaufen. (...)

Dass sich die amerikanische "Kaffeekultur" in Zürich derart ungestört verbreiten kann, sagt viel über die Bewohner aus. In Winterthur gibt es keine einzige Starbucks-Filiale."

Daraus wäre als praktische Konsequenz vorab der Einzug der Insignien der Globalisierung in Winterthur zu fordern. Möge es bald im Glanz von Starbucks-Filialen erscheinen!

Des Weiteren ist es nicht ganz uninterssant zu konstatieren, dass unter dem Eindruck dessen, was Marx und Engels bereits 1848 im 'Manifest der Kommunistischen Partei' über die Globalisierung geschrieben haben*, der ideelle Gesamtstadtzürcher nach wie vor wie eine anachronistische vorbourgeoise Figur anmutet.

* Alle Zitate aus dem 'Manifest der Kommunistischen Partei':

"Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose "bare Zahlung". Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spiessbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt.

Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt.

Die Bourgeoisie hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt.

Die Bourgeoisie hat enthüllt, wie die brutale Kraftäusserung, die die Reaktion so sehr am Mittelalter bewundert, in der trägsten Bärenhäuterei ihre passende Ergänzung fand. Erst sie hat bewiesen, was die Tätigkeit der Menschen zustande bringen kann. Sie hat ganz andere Wunderwerke vollbracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserleitungen und gotische Kathedralen, sie hat ganz andere Züge ausgeführt als Völkerwanderungen und Kreuzzüge.

Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen die erste Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen. Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.

Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.

Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füssen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden.

An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen Produktion. Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut. Die nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr unmöglich, und aus den vielen nationalen und lokalen Literaturen bildet sich eine Weltliteratur.

Die Bourgeoisie reisst durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterte Kommunikation alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schiesst, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhass der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d.h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde.

Die Bourgeoisie hat das Land der Herrschaft der Stadt unterworfen. Sie hat enorme Städte geschaffen, sie hat die Zahl der städtischen Bevölkerung gegenüber der ländlichen in hohem Grade vermehrt und so einen bedeutenden Teil der Bevölkerung dem Idiotismus des Landlebens entrissen. Wie sie das Land von der Stadt, hat sie die barbarischen und halbbarbarischen Länder von den zivilisierten, die Bauernvölker von den Bourgeoisvölkern, den Orient vom Okzident abhängig gemacht.

Die Bourgeoisie hebt mehr und mehr die Zersplitterung der Produktionsmittel, des Besitzes und der Bevölkerung auf. Sie hat die Bevölkerung agglomeriert, die Produktionsmittel zentralisiert und das Eigentum in wenigen Händen konzentriert. Die notwendige Folge hiervon war die politische Zentralisation. Unabhängige, fast nur verbündete Provinzen mit verschiedenen Interessen, Gesetzen, Regierungen und Zöllen wurden zusammengedrängt in eine Nation, eine Regierung, ein Gesetz, ein nationales Klasseninteresse, eine Douanenlinie.

Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen. Unterjochung der Naturkräfte, Maschinerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschiffahrt, Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile, Schiffbarmachung der Flüsse, ganze aus dem Boden hervorgestampfte Bevölkerungen - welches frühere Jahrhundert ahnte, dass solche Produktionskräfte im Schoss der gesellschaftlichen Arbeit schlummerten."

1 Kommentar:

Lupe, der Satire-Blog hat gesagt…

.... und sie kaufen nespresso-kapseln! weil, ist zwar teuer, aber die promis trinken ihn. man ist dabei, beim exklusivclub.