Samstag, 11. Juni 2011

Keine Parteien mehr, sondern nur noch Schweizer

Im schönen St. Moritz tagt zur Zeit die Bilderberg-Konferenz, "ein loser Zusammenschluss, der ein­mal im Jahr zum Tref­fen lädt. Hier kom­men ehe­ma­li­ge und ak­ti­ve po­li­ti­sche Ent­schei­dungs­trä­ger sowie Wirt­schafts-​ und Me­dien­ver­tre­ter zu einem Ge­dan­ken­aus­tausch zu­sam­men." (Link) So weit, so unspektakulär. Warum wird trotzdem so viel Aufhebens um die jährlich stattfindende Bilderberg-Konferenz gemacht?

Hinter den Konferenz-Teilnehmern werden von Verschwörungsideologen jeglicher Couleur jeweils sinistre Kräfte vermutet, die während des losen Austausches über die Geschicke des Weltgeschehens und den Fortgang der menschlichen Zivilisation entscheiden würden. Oftmals sprechen die Verschwörungstheoretiker und Bilderberg-Kritiker von einer Welt- oder Schattenregierung, die u.a. auch die deutsche Wiedervereinigung (ein zweifellos fataler Entscheid..) und den Krieg gegen den Irak Saddam Husseins (ein zweifellos richtiger Entscheid..) auf einer ihrer Konferenzen beschlossen haben soll. (Link)

Da die Teilnehmerliste und die Themen bis anhin jeweils im Nachhinein veröffentlicht wurden - was in diesem Jahr nicht der Fall ist, denn die Organisatoren der Konferenz haben die Teilnehmerliste und die Agenda bereits im Voraus veröffentlicht -, ranken sich - wie gesehen - unzählige Verschwörungstheorien und Mythen um die Bilderberg-Konferenz. Diese auf einschlägigen Internetseiten als 'Theorien' oder als 'Fakten' ständig reproduzierten Verschwörungsideologien sind nichts anderes als reflexionsartige Projektionsleistungen des nachbürgerlichen Subjekts, das ob all dem Unverstandenen und Unerfahrenem, das über es hereinbricht, sinistre Kräfte mit zweifelhaften Motiven - die den Interessen des Volkskörpers zuwiderlaufen - verantwortlich machen möchte. Während die einen vornehm von einer "Weltregierung" schwadronieren, machen andere aus ihren Herzen keine Mördergrube und imaginieren das 'Weltjudentum', das im Hintergrund angeblich die Strippen zieht. (Link)

Nun betreiben die sich in einem Akt seltenen Heldenmuts als Verteidiger der Weltenwahrheit gerierenden Bilderberg-Kritiker auch hierzulande ihr Geschäft, das, nebst der Reproduktion der diversen Verschwörungsideologien, auch eines der verkürzten Kapitalismuskritik (insbesondere von links) und der kleinbürgerlichen Empörungsbewirtschaftung (insbesondere von rechts) ist. Ob es nun die jungen Linken von der Juso sind - die einen "Hort der Marktradikalen, Scheindemokraten und der korrupten Machtelite" nicht etwa der korrupten und scheindemokratischen arabischen und südamerikanischen Despotien, sondern der "neoliberalen Welt" am Werke sieht, der "dort die politischen und wirtschaftlichen Weichen für Deregulierung und Ausbeutung" stellen würde - oder die jungen Rechten von der Jungen SVP - die "die volle Transparenz rund um das Bilderberg-Treffen" und damit vor allem die kleinbürgerliche "vollständige Offenlegung der Kosten" meinen, "welche der Allgemeinheit dadurch entstehen" (gemäss der linkspopulistischen Boulevardzeitung 'Blick' dürfte der private Gastgeber Daniel Vasella für einen erheblichen Teil der Kosten aufkommen) - beiden gemeinsam ist über alle politischen Grenzen hinweg der unbedingte Wille, mit buntem und kreativen Polit-Aktivismus und also mit Demonstrationen in St. Moritz ihre Basis gegen das angeblich intransparente und sinistre Wirken der Bilderberger zu mobilisieren. Wenn es um die Personalisierung abstrakter Verhältnisse und um die Interessenwahrung des autochthonen Volkskörpers geht, finden links und rechts über alles Trennende hinweg zusammen. Es gibt - in anderen Worten - keine Parteien mehr, sondern nur noch Schweizer.

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